Ambitioniert oder doch gar ein wenig verrückt?
Ja, das habe ich mich im Vorfeld der ersten Etappe des Öfteren gefragt. Vermutlich war es eine Mischung aus beidem.
Ich selbst machte mir echt einen Kopf bevor es losging, Alex hingegen war, wie fast immer, die Coolness in Person, der entspannt an die Sache ging.
Mein Bedenken hatte aber Hintergründe: Ausgelaugt von den alltäglichen Arbeitsstress, ging es, einen halben Tag nach Urlaubsbeginn, direkt zu Alex, um dann tagsdrauf ab 22 Uhr schon im Zug nach Oberstdorf zu sitzen.
Ohne wirkliche Erholung und aus der „Kalten“ gleich auf die längste Etappe der Tour…Da macht man sich, aus guten Grund, seine Gedanken…
Die Tourbeschreibung
Nach unserer Anfahrt im Zug, kamen wir knapp vor 24 Uhr im verschlafenen Oberstdorf an. Kaum ein Mensch war noch unterwegs, nur 2 Typen mit Stirnlampen und Rucksäcken, die sich anscheinend noch etwas vorgenommen hatten, zogen durch die Straßen…also wir.
Gleich vorweg: Dummerweise hatte ich meine GPS-Uhr falsch eingestellt, so dass die immer wieder annahm, das wir Pause machten. Deswegen wurde der Teilabschnitt bis zur Kemptner Hütte nur sporadisch oder auch fehlerhaft aufgezeichnet.
Schnell hatten wir die Stadtgrenze erreicht und verschwanden, bis auf das Leuchten der Stirnlampen, in der Dunkelheit. Das Rauschen der Trettach folgend, führte uns der Weg die nächsten Kilometer immer leicht bergauf.
Die Dunkelheit wurde nur bei Durchqueren von Höfen oder kleinen Siedlungen unterbrochen. Ab Spielmannsau ließen wir auch diese Lichtquellen hinter uns. Nur noch der Lichtkegel unser Stirnlampen vor uns im Blick, ging es weiter den Berg hinauf.
Gerne würde ich nun berichten in welcher tollen Landschaft unterwegs waren, aber wir bekamen davon nichts mit. Durch den leichten Nieselregen war der Himmel bedeckt und somit auch kein Mond vorhanden, der die Umgebung ein wenig aufhellen hätte können.
Bei solcher Dunkelheit und mit wenig Orientierungspunkten zu wandern, ist schon etwas anderes. Man verliert schnell mal das Zeitgefühl. Dennoch fiel uns das Wandern mit Kopflampe recht leicht.
Kurz vor den Überschreiten eines Gebirgsbaches, sahen wir vor uns doch noch 3 einzelne Lampen in der Nacht: Eine weitere kleine Gruppe hatte sich auch zur frühen Stunde zum Aufstieg aufgemacht.
Irgendwann, auf den immer steiler werdenden Anstieg, konnten wir dann endlich auch leichte Konturen der uns umgebenen Berge erkennen. Ich merkte dann auch, dass der Aufstieg mir immer schwerer fiel: Die Kraft war einfach weg.
Umso größer war die Erleichterung, als wir in der Dunkelheit ein kleines helles Licht erkannten, dem wir uns langsam näherten: Die Kemptner Hütte war nach knapp 1000 Höhenmetern Aufstieg endlich erreicht.
Es war gegen 4 Uhr… Und es war dringend nötig: Völlig am Ende, so wie ich es von mir noch nicht kannte, fiel ich im Stiefelraum auf eine Bank und wollte mich nur noch ausruhen. Ich konnte einfach nicht mehr…Und es wäre gelogen, wenn ich nun behaupten würde nicht über einen Abbruch nachgedacht zu haben…
Ja, da lag ich nun frierend auf der Bank…
Die kleine Pause wurde immer länger…Alex nun machte den Vorschlag früh gleich den ersten Kaffee des Morgens zu holen und dann weiterzumachen. Welch‘ gute Idee. Kurz vor 6 Uhr war der dann fertig und half mir wieder auf die Beine zu kommen.
>>>Um Garmin-Nutzern die Lage verständlicher zu machen: Wenn man der sog. BodyBattery glauben mag, wanderten wir bei gerade einmal 20% los…bei 5% ist nach unten Schluss…diese 5 % waren bereits nach 2h Wandern erreicht…<<<
Sich dann aufzuraffen, war dann doch immer noch eine große Überwindung. Etliche Wanderer waren nun bereits schon aufgebrochen und stiegen zum Mädelejoch auf.
Jetzt, früh am Morgen konnten wir endlich sehen, in welcher grandiosen Landschaft die Kemptner Hütte liegt und welchen Weg wir gekommen waren. Ein herrlicher Anblick!
Beim Mädelejoch überschritten wir schließlich die Grenze zu Österreich . Von hier aus konnten wir den Großen Krottenkopf, den wir im vergangenen Jahr bestiegen hatten, gut sehen. Kurz darauf ging es nur bergab. Den Weg nach Holzgau kannten wir bereits, also wussten wir, was uns erwartet.
Und nun kam wieder so ein Moment, den man nicht unbedingt verstehen kann. Obwohl noch keine halbe Stunde eher völlig am Ende, kam, wirklich fast spürbar, die Kraft zurück. Nur mit dem Wissen, dass es nun, weniger anstrengend, bergab geht, pumpte das Gehirn irgendwelche Glückshormone durch den Körper, die mich richtig aufleben ließen. Wahnsinn, was der Körper für Reserven beherbergt. Eine echte Erfahrung, mit der ich so nicht gerechnet hätte.
"Du kennst deine Grenzen erst, wenn du über sie hinaus gewachsen bist."
Über den schon bekannten Weg, ging es nun stetig abwärts.
Vorbei an Weiden, grasenden Kühen und immer in der Nähe des Roßgumpenbaches, der sich unermüdlich den Weg ins Tal bahnte.
Die Vegetation nahm wieder zu und wir erreichten, nach der ersten kleineren Pause und nicht 2h Wanderung seit der Kemptner Hütte, die Rossgumpenalm, in der sich kurz vor 8 Uhr noch nichts regte. Vorbei am Wasserfall folgten die recht zügig den weiteren Verlauf des Weges.
Anstatt aber den Weg unter der Hängebrücke nach Holzgau zu nehmen, bogen wir bei den Cafe UTA auf den Lechweg ab. Auf diesen schönen Weg, immer oberhalb des Lechtals verlaufend, entdeckten wir immer wieder herrliche morgentliche Ansichten, sei es auf grasende Rehe in unmittelbarer Nähe, oder auch auf die immer höher steigende Sonne, die das Tal mit Licht und Leben füllte.
Nach rund 26,5 Kilometern, verließen wir den Lechweg und überquerten wir über den Stocker Steg den Lech und hatten somit auch fast den tiefsten Punkt seit der Grenzüberschreitung erreicht. Über einen asphaltierten Weg gelangten wir in die Ortschaft Bach, in der wir in Richtung Madau abbogen. Am Ende der Ortschaft trafen wir dann wieder auf die reguläre Route des E5, die sich, ein wenig langweilig, durch das Lechtal von Holzgau bis hierher schlängelte.
Noch in der Ortschaft machten wir mit den E5-Phänomen namens Taxi Bekanntschaft. Man hat nun, und das schon seit Holzgau, die Möglichkeit, bis zur Materialbahn der Memminger Hütte gefahren zu werden. Hierdurch erspart man sich 15 Kilometer zu Fuß. Ein wenig unwirklich war es dann später schon, als uns die roten Kleinbusse immer wieder überholten oder entgegenkamen, voll gepackt mit E5-Touristen.
Aber gut, es muss ja nicht jeder so drauf sein wie wir…
Von nun an wussten wir, dass es nur noch bergauf geht:
Erst rund 10km bis zur Versorgungsseilbahn der Memminger Hütte und dann nochmals ungefähr 3km steil den Berg hoch.
Während das rote Taxi immer wieder an uns vorbeifuhr, ging es für uns auf der gut ausgebauten Straße grob nach Süden.
Zunehmend merkten wir den langen Weg, der bereits hinter uns lag. Des Öfteren mussten nun Pausen eingelegt, kleine Snacks zu uns genommen und die Trinkbehälter aufgefüllt werden.
Trotz des langen und anstrengenden Weges bislang, hatten wir kaum Hunger.
Ein kleiner Energieriegel, ein paar Salamisticks, Reiswaffeln und Nüsse, mehr nicht.
Es ist schon komisch, wenn der Körper viel Energie verbrennt und dann doch nicht nach Ausgleich schreit.
Aber zumindest tranken wir Wasser. Anfangs konstant viel, zum Ende hin wurde es immer mehr. Mittlerweile hatte sich mit der Tasche am Beckengurt des Rucksackes ein guter und vor allem sehr praktischer Platz für den kleine Faltbecher gefunden.
Die 10 Kilometer bis zur Talstation der Memminger Hütte ließen sich recht gut laufen. Nach ungefähr 2/3 der Strecke, freuten wir uns richtig auf ein kühles Getränk im Madau, doch leider wurden wir enttäuscht: Der Berggasthof Hermine hatte 1,5 Wochen vorher ihr Saisonende. Wie wir erst später erfuhren, hatte ein Unwetter dort für erhebliche Schäden gesorgt und der Stromversorgung des Gasthofes arg zugesetzt, so dass die Saison eher beendet werden musste.
Vorbei ging es an herabstürzenden Gebirgswasser, über Brücken und an hoch aufsteigenden Bergen. Nach knapp 3h reiner Gehzeit inmitten einer wunderschönen Landschaft, erreichten wir die Talstation der Versorgungsseilbahn.
Wie wir auch erst in der Hütte erfuhren, kann man den Rucksack mit der durch die Seilbahn zur Hütte bringen lassen…
Da kann man nur hoffen, dass die Wanderer, die diesen kostenpflichtigen Service nutzen, daran denken, ihre Wasserflaschen aus den Rucksack zu nehmen, den die braucht man ab sofort mehr denn je…
Kurz noch Kraft getankt und Wasser aufgefüllt, dann ging es über die kleine Brücke mit nur noch einer Richtung: Hoch.
Und es wurde steil…und anstrengend. Es wurde viel geflucht und geschwitzt.
Je höher wir kamen, desto mehr merkten wir, wie viel Kraft uns der bisherige Tag gekostet hat.
Die Abstände zwischen den kleinen Verschnaufpausen wurden immer kürzer- der Puls hatte sich im konstant hohen Bereich eingepegelt.
Wir hatten bereits ein paar Hundert Höhenmeter überwunden, als wir einen letzten Blick auf die Talstation der Seilbahn nehmen konnten. Weiter nach oben, wurde dann auch die Vegetation weniger. Erst verschwanden die Bäume, dann die Sträucher.
Vor uns lagen nur noch Wiesen, Geröll- und Steinflächen. Ab hier wurde auch der weitere Weg noch steiler.
Weit vor uns konnten wir eine größere Gruppe von Aufsteigenden sehen, die uns so den weiteren Weg verrieten.
Zum Teil serpentinenförmig führte uns der Weg zu einer kleinen Scharte. Rechts von uns stürzte das Wasser des Seewiseebaches den Fels hinunter.
Das Ziel immer noch nicht vor Augen, aber schon bei über 2000m, ging es in einen leichten Bogen um den rund 2400m hohen Seekogel.
Doch plötzlich, nach einen weiteren steilen Abschnitt, öffnete sich vor uns ein Talkessel, inmitten die Memminger Hütte stand.
Welch ein Anblick! Steil und schroff ragten die Berge um uns hinauf, während die Hütte auf einer kleinen Erhebung über dem Tal thronte. Dieser Blick tat, nach all den Strapazen des Aufstieges, so gut…Endlich hatten wir es geschafft…
Das letzte kleine Stückchen Weg zur Hütte war geprägt von Erleichterung, aber auch von dem atemberaubenden Eindruck der umgebenden Berglandschaft.
Rein in die Hütte, Schuhe aus, Anmelden und eine erfrischende Cola trinken…Welch eine Wohltat für Körper und Seele.
Schnell hatten wir unsere Schlafplätze im Matratzenlager bezogen. Gleich darauf hieß es: Raus aus den verschwitzten Klamotten und ab unter die Dusche. Den Trockenraum schnell noch in Beschlag nehmen und dann auch schon die Zeit zum Abendessen gekommen.
Bei Ankunft hatten wir noch auf Halbpension umgeschwenkt und bekamen so ein Abendessen mit 3 Gängen. Keine Ahnung ob das nun teurer oder günstiger war- es war uns eigentlich auch egal.
Der Gastraum war bereits zu voll, also sicherten wir uns die ersten Plätze im angeschlossenen Zelt.
Alex aktivierte schnell noch die Heizpilze und schon wurde es angenehm warm.
Während draussen das Wetter umschwenkte und für eine kurze Zeit ein starker Regen mit Donner auf die Umgebung hereinbrach, saßen wir nun im immer mehr besuchten Zelt und tranken unser Gipfelbier.
Schnell kamen wir mit anderen Wanderern ins Gespräch, teilten Erfahrungen und hatten einen schönen Abend. (Gruß an die 3 Mädels aus Stuttgart!)
Lange machten wir dennoch nicht- für uns ging es zeitig ins Bett, zu lang war der Tag für uns gewesen.
Also rein in den Hüttenschlafsack und Augen zu, auf eine ruhige Nacht!
Fazit
Was für ein erster Tag!
Ein Tag voller Höhen und Tiefen, mit viel Fluchen und Erstaunen, was der Körper so leisten kann.
War es trotzdem clever, diese Tour so anzugehen?
Zurückblickend, gerade auf die ersten Stunden, wohl kaum. Dennoch, wir haben es durchgezogen und unser Tagesziel erreicht.
Wir sind danach auch nicht im Stehen eingeschlafen, sondern konnten den ersten Abend auf der Hütte auch noch genießen.
Trotz alledem, würden wir es das nächstes Mal anders machen.
Die Strecke ist landschaftlich natürlich wunderschön, mit den 2 langen Anstiegen über je 1000 Höhenmeter und der Streckenlänge jedoch, sehr anstrengend.
Unsere Trailrunningschuhe kamen nie an die Grenzen und waren, gerade im Bereich Bach bis zur Talstation absolut die allererste Schuhwahl.
Tipps
- Wasser! Wasser! Wasser!
Wenn man Vertrauen in die Gebirgsbäche hat, kein Problem. Hat man nicht, kann man nicht genug Wasser dabei haben. - Essen, auch wenn man kein Hunger hat!
Wir hatten kaum Hunger auf dem Weg, mussten dennoch essen- zuviel Energie geht verloren - Nehmt die Drohne mit!
Ist man in Österreich, gibts nur noch wenige EInschränkungen. Es lohnt sich! - Bargeld mitnehmen!
Die Memminger Hütte ist nicht günstig und man kann nur bar bezahlen! - Die Tour teilen!
Um die Natur voll zu genießen, startet in Oberstdorf und übernachtet auf der Kemptner Hütte. - Alternative Übernachtung: Madau
Der Berggasthof Hermine bietet auch genügend Übernachtungsmöglichkeiten. Auf jeden Fall günstiger als weiter oben. WLAN gibts auch! - Ab Bach könnt ihr Akku sparen!
Ab hier gibts nämlich keinen Empfang mehr!
Höhenmeter bis zum Ziel
2470m bergauf, 1160m bergab
Streckenlänge
41,6km
Dauer
reine Gehzeit ohne Pausen: 12h 5min